Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
Die Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) hat in der Bundesrepublik Deutschland zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und des Wirtschaftslebens geführt, die noch vor wenigen Wochen undenkbar erschienen. Der deutsche Gesetzgeber hat schnell reagiert und am 27.03.2020 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen.
Hier eine Übersicht über die Änderungen:
In Artikel 240 EGBGB wird ein Moratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmer geschaffen. Diese erhalten ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn ihre Leistung durch Umstände der COVID-19-Pandemie nicht erbracht werden kann oder die Leistungserbringung für sie unzumutbar wäre.
Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume können durch Vermieter nicht mehr gekündigt werden, soweit der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet und die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Schuldner haben also die Möglichkeit, bei Umsatzausfällen auch die durch Miete entstehenden Fixkosten faktisch anzupassen. Die Forderungen entstehen trotzdem und sollten in die zwischen dem Schuldner und seinen Stakeholdern zu führenden Sanierungsverhandlungen einbezogen werden. Klar ist, dass eine Sanierung auf Kosten der Vermieter nicht gewollt sein kann.
Für Darlehensverträge mit Verbrauchern, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt, dass Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden, wenn der Darlehensnehmer infolge der COVID-19-Pandemie Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Kündigungen des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs oder wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers sind solange ausgeschlossen.
Aktiengesellschaften, auch KGaA und SE erhalten Erleichterungen bei der Durchführung der Hauptversammlung. Nach der Neuregelung kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch ohne Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung Entscheidungen über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation, die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation und die Zulassung der Bild- und Tonübertragung treffen (Änderung des § 118 AktG). Der Vorstand kann auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden, dass eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Ferner kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats abweichend von § 123 AktG entscheiden, die Hauptversammlung spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Weitere Formvorschriften werden ebenfalls gelockert.
Der Vorstand kann auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats abweichend von § 59 AktG selbst ohne Satzungsermächtigung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu zahlen, oder dass die Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres stattfindet. Die Beschlussanfechtung von oben genannten Beschlüssen ist weitgehend ausgeschlossen, außer bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
In Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) können Gesellschafterbeschlusse in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe gefasst werden.
Genossenschaften, Vereine und Stiftungen erhalten ebenfalls weitere Corporate Governance Erleichterungen.
Im Umwandlungsrecht genügt es für die Zulässigkeit der Eintragung abweichend von § 17 Abs. 2 UmwG nun, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate (bisher: acht Monate) vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.
Die bislang geltende Insolvenzantragspflicht in § 15 a InsO von drei Wochen wird längstens bis zum 30.09.2020 ausgesetzt, solange aufgrund ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsbemühungen eines antragsverpflichteten Unternehmens begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Die Regelung tritt zum 01.03.2020 rückwirkend in Kraft.
War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Sofern die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages ausgesetzt ist, gelten Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar.
Mit diesen Regelungen sollen die sonst straf- und haftungsbewehrten Regelungen für Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensformen ausgesetzt werden.
Zudem wird das Recht der Gläubiger in diesen Fällen Insolvenz zu beantragen für 3 Monate ausgesetzt.
Geschützt werden auch Geber von neuen Krediten, einschließlich von Warenkrediten und anderen Formen der Leistungserbringung auf Zeit, indem die bis zum 30.09.2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraums gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend gelten. Anfechtungsschutz wird u. a. auch für Vermieter, Leasinggeber, Lieferanten und andere Vertragspartner begründet, die befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen.
Bei allen Regelungen behält sich die Bundesregierung vor, die Maßnahmen im Verordnungswege zu verlängern.
Bei Wohnungseigentümergemeinschaften bleibt der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt und der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.
Die Änderungen im Insolvenzrecht treten mit (Rück-)Wirkung vom 1. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft. Die Änderungen im Gesellschaftsrecht treten am Tag nach der Verkündung in Kraft und treten mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft. Die Änderungen im Zivilrecht treten am 1. April 2020 in Kraft. Artikel 240 EGBGB tritt am 30. September 2022 außer Kraft.